Mein roter Fächer schlug schallend auf seinem Gesicht auf. Er hatte die Augen geschlossen und sein Kopf drehte sich durch den Aufprall zur Seite. Ansonsten hatte er keinen Laut von sich gegeben oder war zusammengezuckt. Ich war wütend und hatte ihn fester als beabsichtigt geschlagen. Ein roter Striemen war auf seiner Wange zu sehen. Wäre unsere Beziehung zueinander wie vorher…. Dann hätte ich den Fächer fallen gelassen und ihn um Verzeihung gebeten, aber ich war zu stolz und zu verletzt um das zu tun. Ich konnte mir keine Fehler mehr erlauben. So war es besser.
Langsam drehte er den Kopf wieder zu mir. Sein Blick war kalt. Ich konnte die unterdrückte Wut in seinen Augen erkennen. Wie sollte ich seinen Hass auf mich länger ertragen? Ich holte wieder aus, sein bohrender Blick wich dennoch nicht von mir. Er machte nicht einmal den Versuch mich aufzuhalten oder sich zu schützen. Ich ließ die Hand wieder sinken. „Habe ich nicht schon mal gesagt, dass du mich nicht ohne Erlaubnis ansehen darfst?!“ Seine Augen fixierten auf der Stelle wieder den Boden vor meinen Füßen. Ich wusste, dass ich seinen Zorn nur noch mehr schürte. Aber es war mir egal.
Das Pferd unter mir machte einen Satz. Touma saß direkt hinter mir und hielt mich zwischen seinen Armen fest, sodass ich nicht fallen konnte. „Sch-sch Kurige.“ Beruhigte er den Braunen und zog sanft an den Zügeln. Die Sonne war gerade zwischen zwei Bergen aufgegangen und blendete mich. Ich kniff die Augen zusammen um ihren hellen Strahlen zu entkommen. Mein Gesicht fühlte sich leicht taub an. Ich musste auf der Mähne des Tieres eingeschlafen sein, denn einige Haare klebten noch an meiner Wange. Noch schlaftrunken wischte ich sie fort. „Guten Morgen.“ Murmelte ich mit belegter Zunge. Er erwiderte den Gruß und trieb das Pferd weiter an.
Je wacher ich wurde desto klarer wurde der Traum. Das war seltsam.
Sollte ein Traum sich nicht verflüchtigen?
Anstatt mich zu freuen eine Erinnerung zurückerlangt zu haben, zweifelte ich an ihnen.
Wie konnte ich meinen Mann derart behandeln? Das war nicht ich! Obwohl ich ihn liebte. Obwohl es mich schmerzte wie er mich angesehen hatte, habe ich ihn mehr verletzt als er mich. Das konnte nicht sein! Doch etwas hielt mich davon ab es komplett als Traum abzutun. Die Erinnerung die ich hatte, kurz bevor wir aufgebrochen waren schwebte in meinem Hinterkopf. War ich diejenige gewesen auf die er so aufgebracht war? Weswegen er sich das Haar geschnitten hatte?
Ich schüttelte den Kopf in der Hoffnung die Gedanken zu verscheuchen.
Dies war ein Traum. Nichts weiter. Ich redete es mir immer wieder ein, bis eine Berührung mich unterbrach. Nur kurz lag seine Stirn auf meiner Schulter und so drehte ich mich zu ihm um. Er sah müde und ausgelaugt aus. Wir waren die ganze Nacht durchgeritten und er hatte kein Auge zugetan. Wohingegen ich geschlafen hatte. Wahrscheinlich hatte er mich oft festhalten oder auffangen müssen. Natürlich war er müde!
„Touma. Wir sind lang genug geritten.“ Er schüttelte nur stumm den Kopf und umklammerte die Zügel fester, auch wenn er nicht mehr viel Energie zu haben schien. „Mach wenigstens eine kleine Rast.“ Appellierte ich entschlossener. „Du solltest ein wenig Schlafen und etwas essen. Das Pferd braucht auch einen Pause.“ Seine müden Augen fixierten meine. Er wusste dass ich Recht hatte und doch blieb er stur. „Ich werde auch aufpassen. Ich wecke dich wenn ich etwas Eigenartiges höre oder sehe.“ Für einen Moment dachte ich, dass er auch dieses Angebot abschlagen würde, doch als ich ihn anlächelte gab er nach. „Na schön.“ Mein Lächeln wurde breiter während er das Pferd an eine Baumgruppe lenkte und anschließend abstieg. Touma streckte mir seine Arme entgegen um mir zu helfen. Ich ließ mich heruntergleiten, sodass er mich auffangen konnte. Einen Wimpernschlag lang, lag ich in seinen Armen bevor er mich auf den Boden absetzte.
Doch dieser Wimpernschlag genügte um mein Herz zum rasen zu bringen.
Er hatte sich an einen Baum gelehnt und war schnell eingeschlafen. Jedenfalls sah es danach aus. Unschlüssig streichelte ich den Braunen eine Weile während es graste. Dann setzte ich mich neben meinen Mann und beobachtete den Morgen. Das Zwitschern der Vögel hatten nicht nur die Sonne begrüßt sondern waren auch die Ankündigung des Frühlings. Hellgrüne Triebe waren bereits sichtbar und demnächst würde man auch die vielen Knospen der Kirschblüten sehen können. Ich freute mich schon auf den Blütenregen.
Kaum hatte ich das gedacht schoss die Erinnerung wieder in mein Gedächtnis. Es war im Frühling gewesen, denn mein Garten stand in voller Blüte. Ein Blütenblatt war auf seiner Wange gelandet und als ich ihn daran erinnerte, dass er mich nicht ohne Erlaubnis ansehen durfte war sie segelnd auf den Boden gefallen.
Warum konnte ich mich nur so gut daran erinnern?
War ich tatsächlich so schrecklich zu ihm gewesen?
Meine Brust zog sich zusammen. Der Schmerz der darin entstand, breitete sich bis zu meinen Fingerspitzen aus, als wäre es Gift, das durch meine Adern wanderte.
Ich biss mir auf die Lippe, um den Schmerz durch einen anderen zu ersetzten. Doch es half nicht. Es passte zu seinem Verhalten mir gegenüber, als ich aufgewacht war. Er hatte es nicht gewagt mich anzusehen. Erst als er herausfand, dass ich meine Erinnerungen verloren hatte, hatte er mich angesehen.
Am Rande meines Sichtfeldes bemerkte ich eine Bewegung. Toumas Kopf war im Schlaf ein wenig zur Seite gekippt. Er hatte die Arme verschränkt und sah so friedlich aus wie ich ihn noch nicht gesehen hatte. Der Schlaf konnte ihm all die Last für eine Weile von den Schultern nehmen, die er zu tragen hatte. Schuldgefühle kamen in mir hoch und verstärkten das peinigende Gefühl dass sich bereits in mir ausgebreitet hatte.
Wenn ich tatsächlich so schrecklich war. Dann mochte ich meine Erinnerungen nicht wieder haben. Ich wollte nicht wissen warum ich ihm das angetan hatte. Wollte nicht wissen was ich noch getan hatte um ihn zu demütigen.
Ich wollte nicht mehr so sein.
Heiße Tränen rannen meine Wangen hinunter und vermischten sich mit dem Morgentau, der auf dem Gras lag. So verschwommen konnte ich nicht auf meine Umgebung acht geben, dabei hatte ich Touma gesagt ich würde sicher gehen, dass uns niemand aus dem Hinterhalt angreifen würde. Ärgerlich wischte ich sie davon und versuchte mich zusammenzureißen. Doch ich schaffte es nur die Tränen davon abzuhalten aus meinem Herzen herauszuströmen. Die Selbstzweifel blieben und fraßen sich durch meine Brust.
Ich wusste nicht wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Wie bisher auch? Ihm vorlügen ich hätte immer noch keine Erinnerungen zurück erlangt?
Was würdest du tun, wenn du weißt, dass du einer Person die du liebst etwas Schreckliches angetan hast?
Obwohl ich mir unsicher war, wie ich auf meine Erinnerungen reagieren sollte, rückte ich näher zu Touma. Seltsamerweise gab mir seine Nähe Frieden, auch wenn der Grund für meine Selbstzweifel meine Gefühle zu ihm in Frage stellten. Es kam mir vor als sei kaum Zeit vergangen, da öffnete er die Augen wieder. Ich schluckte schwer, denn ich war noch immer zu keiner Lösung gekommen. Es war einfacher gewesen zu denken als er noch geschlafen hatte.
Er streckte sich ein wenig um den Schlaf aus seinem Körper zu verscheuchen. „Das tat tatsächlich gut.“ Sagte er lächelnd und sah in meine Richtung. Ich konnte ihn nicht ansehen und so starrte ich auf das Gras vor mir. „Was ist los Yuzuna? Du bist so blass.“ Sein Ton verriet mir, dass er sich Sorgen um mich machte. Schon wieder.
Ich schüttelte nur den Kopf. Meiner Stimme traute ich nicht. Wahrscheinlich würde sie sich jämmerlicher anhören als ich aussehen musste. Ich versuchte ein Lächeln und fixierte dabei seinen Mund, doch ich scheiterte kläglich. Touma hatte mein Kinn angehoben, sodass ich ihm mehr oder weniger ins Gesicht sehen musste. Ich wich seinem prüfenden Blick aus, so gut es ging.
„Du hast dich erinnert.“ Sagte er so leise, dass ich es fast überhört hatte. Ich erwiderte nichts, blieb still sitzen und sah ihn nicht an, während die Schuld mich immer mehr einzunehmen versuchte. Er ließ mein Kinn langsam los und lehnte sich ein Stück von mir weg. Mein Herz raste vor Furcht, als ich meinen ganzen Mut sammelte um zu ihm zu sprechen.
„Touma…“ fing ich an und war verwundert über die Ruhe in meiner Stimme. „War ich immer grausam zu dir?“ Ich machte eine kurze Pause, denn ich war mir nicht sicher ob meine Stimme brechen würde. „War ich … nein, bin ich so schrecklich?“ Ich schluckte und zitterte am ganzen Körper. Die Hitze der Schuld wurde unerträglich und drohte mein Inneres zu sprengen. Ich zog meine Beine an die Brust, so fest ich nur konnte. „Hasst du mich, Touma?“ wimmerte ich kläglich und vergrub den Kopf zwischen meinen Armen. Es tat so unglaublich weh, zu wissen, dass ich die Person die ich liebte verletzt hatte.
Ich liebte ihn.
Dieser Gedanke tauchte greifbar in meinem Herzen auf. Ich hatte nicht gewusst wie sehr ich ihn liebte. Nicht bevor ich diesen brennenden Schmerz in mir gespürt hatte. Dieses Eingeständnis machte es mir nur noch schwerer zu begreifen weswegen ich so kalt zu ihm gewesen war. Dieses Gefühl konnte nicht erst jetzt entstanden sein. Ich musste ihn schon vorher geliebt haben, wie sonst könnte es mich dermaßen überwältigen?
„Ich habe dich für das, was du getan hast, gehasst.“ Wie eiskalte Dolche rammte sich jedes einzelne Wort in meinen Körper.
Er hörte sich fast schon teilnahmslos an, während ich um Fassung rang und die Tränen aufzuhalten versuchte.
Ich verlor den Kampf.
Die Verzweiflung schlug wie eine mächtige Welle über mich ein. Tränen rollten stumm über meine Wangen. Ich wollte nicht schluchzen. Doch es kostete mich viel Kraft es zurückzuhalten.
„Es tut mir leid für das was ich getan habe, Touma!“ wimmerte ich kläglich und kaum verständlich.
Ich konnte seinen kalten Blick auf mir spüren, daher wagte ich es nicht ihn anzusehen. Mehr konnte ich nicht ertragen.
„Wie kannst du dich bei mir entschuldigen, obwohl du nicht einmal mehr weißt wofür!“ Er klang nicht wütend. Mehr tadelnd und gelangweilt. Ich wusste nicht, ob das besser war oder schlechter, aber seine Worte waren nicht weniger stechend.
Ich nahm all meinen Mut zusammen und hob den Kopf. Unter all den Tränen konnte ich ihn nur verschwommen ausmachen. Er stand nicht weit weg von mir, die Arme verschränkt, den Blick aufmerksam auf die Umgebung gerichtet.
„Was habe ich getan?“
Ich biss mir auf die Unterlippe. Ich bereute es ihn danach gefragt zu haben.
„Nein… ich möchte es nicht wissen. Ich will nicht wissen was ich dir angetan habe!“ Meine Stimme wurde lauter.
„Ich möchte neu anfangen!“