Er schien das Gehörte nicht verstehen zu wollen, denn ich erkannte Unglauben und Zweifel. Dann legte er seine Stirn in seine rechte Hand, sodass ich sein Gesicht nicht mehr ergründen konnte.
Ich bewegte mich nicht. Wie erstarrte saß ich da und wartete darauf, dass er etwas sagte. Die Zeit schien still zu stehen. Nur das Knistern des Feuers war noch zu hören und mit jedem Wimpernschlag der verging, wurde mein Herz schwerer.
„Du sollst Lord Higuchi heiraten?“ war das erste was er sagte, ohne seinen Kopf zu heben. Ich bejahte leise, denn das war die Wahrheit. Mein Vater hatte uns einen Brief zukommen lassen. Mutter hatte ihn gelesen und sofort nach mir geschickt. Sie war ganz aufgeregt als sie mir freudig mitteilte, dass mein Vater beschlossen hatte mich zu verheiraten. Die Freude über die bevorstehende Heirat war größer als der Umstand, dass es sich um einen Higuchi Sohn handelte. Einen Feind unseres Clans.
„Vater schrieb in dem Brief, der Higuchi Clan wolle ein Bündnis mit uns eingehen, denn…“ er unterbrach mich, bevor ich den Satz vollenden konnte. „Er hat dich für ein Bündnis mit unserem Feind verkauft.“ Scharfe Worte für die er hart bestraft worden wäre, wenn die falschen Personen sie vernommen hätten. Doch ich fühlte genauso.
„Sie haben schwere Verluste einstecken müssen. Eine Heirat wäre dieses jämmerliche Bündnis nicht wert.“ Er schnalzte missbilligend mit der Zunge.
„Und dennoch hat mein Vater es so beschlossen.“ Ich wollte es sachlich klingen lassen, konnte aber die tiefliegende Abneigung nicht ganz verbergen.
„Wieso zum Teufel, gibt er den Higuchis nicht Lady Hanako?!“
Ich sah erschrocken zu ihm auf. Seine Stimme war erfüllt von Wut, seine Worte voller Verzweiflung und nichts anderes konnte ich in seinem Gesicht erkennen.
„Sie wird nicht das Land erben, wenn deine Brüder im Krieg fallen sollten. Nicht, dass ich das heraufbeschwöre, aber diese Higuchi Bastarde sind hinterlistige Hunde! Dein Vater kann manchmal viel zu gutgläubig und weichherzig sein!“
Der Zorn hatte sich seiner bemächtigt und ließ ihn Dinge sagen für die er mit dem Tode bestraft wäre. Seine politischen Schlussfolgerungen konnte ich nachvollziehen, doch ich war enttäuscht über das was er sagte. Er überging meine Offenbarung ihm gegenüber und schien sich nicht über meine Gefühle zu kümmern.
Das taten Männer wohl nicht.
Nicht mein Vater.
Nicht Touma.
Ich versank gerade wieder in Selbstmitleid als ich erkannte, dass ich seinen Zorn ausnutzen konnte.
„Dann verstehst du als warum ich mit dir geflohen bin?“
Ich wäre mit niemandem sonst geflohen, doch das hatte er nicht erkannt…
Doch jetzt genügte mir seine rationale Sichtweise für mein Vorhaben.
Unsere Blicke trafen sich und plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, ob er mich wirklich nicht verstanden hatte.
Es trat eine Stille ein, die mehr ausdrückte, als Worte es jemals gekonnt hätten.
Doch das Einzige was er zu mir sagte war:
„Du solltest schlafen, Yuzuna. Wir haben morgen einen langen Tag vor uns.“
Einen Moment starrte ich ihn fassungslos an. Ich hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, dass er mir zustimmen würde und mit mir umkehrte. Zurück zu Chiyo. Zurück in ein unbekümmertes Leben.
Der rote Kamm lag noch immer in seiner Hand und er sah nicht danach aus, als würde er noch ein weiteres Wort verlieren. Also gab ich mich meinem Schicksal hin und kroch unter die Decke. Die Tränen und all die wirren Erinnerungen hatten mich ausgelaugt und so schlief ich schneller ein, als ich dachte.
Ich wachte durch die Geräusche des Sattelns auf. Die Sonne war gerade am Horizont auf gegangen und der Nebel des Waldes hing noch im Gras. Es war kühl, doch je höher der heiße Himmelskörper gestiegen war, desto wärmer wurde es.
Unser Frühstück nahmen wir auf dem Pferd ein. Der Tag unterschied sich kaum von dem Gestrigen. Wir beide brauchte Zeit zum Nachdenken und so schwiegen wir uns an. Es frustrierte mich, dass ich von ihm keine klare Antwort bekommen hatte. Ich merkte, dass ich mich langsam damit abfand, von ihm gehasst zu werden.
Dieses Gefühl war mir nicht neu.
Es war später Nachmittag als er das Wort wieder an mich richtete. „Du hast Yuiko verbannt weil du eifersüchtig auf sie warst.“ Er klang neutral, fast schon geistesabwesend. Ich wusste nicht ob ich etwas erwidern sollte und schwieg. Die Hufe des Pferdes klangen lauter als gewöhnlich. Meine Aufmerksamkeit galt ganz dem Mann hinter mir.
Meine Erinnerung an diese Frau waren verzerrte Schemen in meinem Gedächtnis.
Hatte ich Yuiko tatsächlich aus reiner Eifersucht verbannt? Das würde sich jedenfalls mit all den Taten decken. Sie war eine wichtige Person für Touma. Wieso hätte ich sie verschonen sollen, wenn ich gewollt hatte, dass er mich hasste?
Das schlimme daran war, ich hatte es geschafft. Der Erfolg meines Handelns war deutlich zu spüren.
Da ich nicht reagierte, zog er den Kamm aus seiner Ärmeltasche heraus und hielt ihn mir vors Gesicht. „Deshalb hast du dieses Stück gekauft.“
Ich verstand nicht worauf er hinaus wollte und nahm es langsam in die Hand. „Ich weiß nicht mehr aus welchem Grund ich ihn dir schenken wollte.“
„Sie hat mir jeden Morgen das Haar gekämmt.“ Erklärte er ungeduldig. „Erinnere dich gefälligst an sie! Du hast ihr Unrecht getan!“ Er war verärgert und ich konnte es ihm nicht verübeln.
Ein Bild schlich sich in meine Gedanken in denen ich Yuiko dabei beobachtete, wie sie Touma das Haar kämmte und zurück band. Für mich war dies schon immer ein Zeichen von inniger Verbundenheit gewesen. Und ich war eifersüchtig darauf. Ich wollte an ihrer Stelle sein.
Sie schien ihm mehr zu bedeuten als ich, obwohl er mir immer und immer wieder aufs neue gesagt hatte, dass ich das Wichtigste in seinem Leben sei.
Dieser Erinnerungssplitter füllte eine Lücke aus. Ich hatte ihn einen Lügner geschimpft, weil Yuiko diejenige war, die wichtiger war als ich. Für sie hatte er mir sein Leben angeboten.
„Sie hat gestohlen.“ „Ich weiß.“ Eine kurze Pause entstand als ich nachdachte, denn es war nur ein Haarband gewesen. „Lasst sie einfach.“ Mein Blick wurde ernst. „Du behelligst sie deswegen nicht und sagst es sonst keinem! Du weißt was dir sonst blüht!“
„Aber Shirokawa-hime!“ Ich funkelte sie böse an, doch sie sprach einfach weiter. Ihre Augen waren vor Aufregung und Angst geweitet.
„Sie hat nicht nur Euch bestohlen! Yuiko hat euren Vater, Lord Shirokawa, ebenfalls bestohlen!“ Ich war kurz verwirrt und verstand nicht was sie mir damit sagen wollte. „Sie hat Vater bestohlen?“ fragte ich ungläubig. Das Mädchen nickte heftig und verschluckte sich fast an ihren eigenen Worten, als sie hastig weiter erzählte. „Sie hat Pläne notiert und auch Briefe…“ „Halt den Mund!“ fuhr ich sie aufgebracht an. „Wenn du auch nur ein weiteres Wort darüber verlierst, wirst du teuer dafür bezahlen müssen! Zu NIEMANDEM ein Wort! Hast du verstanden?!“ Sie war zusammengezuckt und sah mich angsterfüllt an. Genau diese Emotionen wollte ich in ihrem Gesicht sehen, doch es reichte nicht. Ich öffnete meine Lackschatulle und entnahm eine Haarnadel daraus. „Nimm und schweig.“ Sagte ich kühl und hielt sie ihr hin. Ihre Augen fingen an zu leuchten, als sie das Gold erblickte und vorsichtig in die Hand nahm. „Ihr seit zu gütig, Shirokawa-hime. Habt vielen Dank. Eure Dienerin Momoko gehorcht!“ Hätte ich sie nicht hinausgewunken, wären ihr sicher noch mehr Worte des Dankes eingefallen.
Mein gesamter Körper war bis zum Zerreißen angespannt. „Du weißt was zu tun ist.“ Sagte ich in den leeren Raum hinein, als die Schritte des Mädchens verklungen waren. Der Fusuma zu meiner Linken glitt zur Seite und der Mann dahinter verbeugte sich. „Sehr wohl, Prinzessin.“ Ich hatte mich nicht zu ihm umgedreht, doch meine Worte allein hielten ihn davon ab zu gehen. „Ich möchte nicht, dass ihr sie tötet… Noch nicht.“
„Ich war eifersüchtig auf sie.“ Gab ich schließlich zu. „Aber ich wollte auch, dass du mit ihr glücklich werden könntest, wenn ich bereit gewesen sein würde, dich loszulassen. Ich hatte mir geschworen dich mit ihr gehen zu lassen, wenn mein Vater einen Mann für mich gefunden hätte. Doch….“ Touma hörte mir stumm zu und wartete geduldig bis ich fortfuhr.
„Dann tat sie etwas, was ich ihr nicht verzeihen konnte.“
Keiner hätte ihr dieses Vergehen verzeihen können. Sie hatte Verrat begangen. Für ein solches Verbrechen dieser Art, war der Tod die einzige Strafe. Wäre nur ein Wort dieser Zeugin nach außen gedrungen, wäre Yuiko ohne umschweife exekutiert worden.
Ich konnte Touma nicht die Wahrheit über seine Kindheitsfreundin erzählen.
Er hätte die Wahrheit nicht verkraftet. Sie hinterging nicht nur den Clan, sondern auch ihn. Hätte er herausgefunden was Yuiko getan hatte, dann hätte er sie mit hoher Wahrscheinlichkeit eigenhändig getötet und es sich anschließend niemals verzeihen können. Seine Loyalität zum Shirokawa-Clan war schier grenzenlos.
Er hätte sich damit selbst zerstört.
Ich kannte ihn. Ich kannte ihn zu gut.
Daher nahm ich seinen Hass mir gegenüber in kauf.
Ich verbannt sie, statt sie töten zu lassen. In der Hoffnung er könne sie an dem Tag wiedersehen, an dem ich breit war ihn gehen zu lassen.
Kuroda hatte dem Murayama-Clan falsche Informationen zukommen lassen, denn er fand heraus, dass Yuiko ihre Informationen an unseren größten Widersacher verkauft hatte. Unter anderem ließ er die Information durchsickern, dass Yuiko ermordet worden sei. Sie war sicher vor dem Murayama-Clan und ich schickte sie fort mit der Bedingung, dass sie niemandem von ihrem Vergehen erzählen würde.
„Yuiko hätte niemals etwas gestohlen! Du hattest nur das Wort dieser Zofe! Sie zu verbannen war eine viel zu harte Strafe!“ Er war aufgebracht und ich konnte die Hitze seiner Wut spüren.
Ich ging nicht darauf ein. „Du kannst du ihr.“ Mein selbst gewählter Schwur hatte sich bereits erfüllt. Zu Hause würde eine Verlobung auf mich warten. Meine Gefühle für Touma würden alles nur noch verkomplizieren. Es war Zeit ihn ziehen zu lassen.
„Sie ist auf der Insel Midorijima. Du kannst mit ihr gehen wohin du willst. Das einzige was ich von dir Verlange, ist dein Wort, dem Shirokawa-Clan niemals Schaden zuzufügen.“
Wie würdest du dich fühlen, die Liebe deines Lebens loslassen zu müssen?