~Kapitel 1 & 2

Wie würdest du reagieren …

Mein Körper fühlte sich an wie ein schwerer heißer Klumpen. Ich musste schon lange so dagelegen haben, denn es war ungemütlich geworden. Nur ein kleines bisschen wollte ich mich bewegen. Einfach nur um meine Position zu verändern. Um das Blut, das sich scheinbar in meinem Rücken gesammelt hatte, zu verlagern.

 … wenn du ganz langsam …

Doch mein Körper war zu schwer. Seufzend wollte ich die Augen öffnen, doch auch das schien zu viel zu sein. Das einzige was ich hervorbrachte, war ein klägliches heiseres Stöhnen. Ich wäre vor dem Laut, das meine Kehle verursacht hatte zusammengeschreckt, doch meine Muskeln schienen noch zu schlafen. Ein kleines bisschen Panik machte sich in mir breit, als ich langsam begriff, dass ich mich nicht einmal reflexartig bewegen konnte. War ich gefangen in meinem Körper? Aber nein, ich hatte meine Stimme gehört, bei dem Versuch zu seufzen.

Ich versuchte mich daran zu erinnern was ich gestern getan hatte. Hatte ich mich überanstrengt? War mir etwas zugestoßen? War ich verletzt?

… realisierst, …

Ich tastete mich gedanklich durch meinen Körper. Es war komisch mich nicht bewegen zu können und daher war es auch schwierig herauszufinden ob etwas schmerzte. Das einzige was ich fühlte war diese Hitze, die immer unerträglicher wurde. Sie schien aus meinem Inneren selbst zu kommen. Doch außer diesem Gefühl konnte ich nichts finden…

 … dass du …

Mein Atem hätte gestockt, wäre ich in der Lage dazu.

Ich war mir nicht sicher ob auch mein Herz kurz aussetzte.

Da war nichts.

Gar nichts.

 … nicht mehr weißt wer du bist?


Ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen war. Ich war wach, konnte mich nicht bewegen. Fühlte immer nur, wie jemand versuchte mir Wasser oder Suppe einzuflößen. Ich spürte meine Lippen nicht, nur wie die Flüssigkeit meine Kehle hinunterlief. Es war so still um mich herum, oder war ich nur taub? Ich geriet eine Zeitlang in Panik. Ich wollte schreien und mich bemerkbar machen, aber nichts funktionierte. Einmal versank ich in Resignation. Gab mich diesem furchtbaren vegetieren hin. Aber nicht für lange. Ich erkannte, dass es wohl mindestens einen Menschen gab der sich Sorgen um mich machen musste. Auch wenn ich nicht mehr wusste wer ich war und wen ich an meiner Seite hatte. Die Gewissheit, dass dort draußen etwas war, ließ mich weiterkämpfen. Es war anstrengend unglaublich anstrengend. Doch ich gab die Hoffnung nicht auf. Wollte wieder alles spüren. Wollte wissen wer sich sorgte. Wollte mich erinnern wer ich war…

Der Traum verblasste vor meinem inneren Auge. Der Schlaf löste sich von mir, so als wäre er Rauch der langsam verschwand. Ein leichtes kribbeln ran durch meinen Körper.

Ich erwachte.


Es war wohl Mittag. Die Sonne schien und meine Augen mussten sich an die Helligkeit gewöhnen, auch wenn es in meinem kargen Zimmer nicht sehr hell war. Die Schiebetüren, die den Raum von der Außenwelt trennte, waren alt. Das Papier hatte bereits einige Löcher und sollte so bald wie möglich ausgewechselt werden. Auch die Wände sollten besser erneuert werden.

Unmengen von Decken lagen auf mir. Das war es also was meinen Körper so schwer gemacht hatte. Ich war noch zu schwach um mich selbst aus diesem Stoffberg zu befreien. Immerhin konnte ich mich bewegen. Das Öffnen meiner Augen war so einfach. So wie es immer sein sollte. Ich konnte auch meine Hände bewegen. Immer wieder schloss und öffnete ich sie, bis meine Arme anfingen weh zu tun. Alles war wieder in Ordnung und ich fühlte mich etwas erleichtert. Der harte Kloß in meiner Brust, das Wissen dass ich nichts mehr von mir wusste, blieb wo er war. Er wog schwer und ich hatte Angst, dass er nie verschwinden würde.

 Da ich mich nicht aufsetzen konnte musste ich warten. Warten bis jemand kam um nach mir zu sehen. Es musste jedenfalls jemanden geben, sonst wäre ich sicher schon verdurstet oder verhungert. Kaum war der Gedanke durch meinen Kopf gegangen öffnete jemand den Fusuma. Ich drehte ohne große Anstrengung den Kopf um besser sehen zu können.

Die Frau die in der Tür stand ließ das Tablett das sie in der Hand hielt fallen. Eine Schüssel und ein Becher fielen auf den Boden. Der Geruch von Miso-Suppe erfüllte den Raum mit einer leichten Note von Gersten-Tee. Sie hatte nicht geschrien, stand dort und sah mich an als würde sie einen Geist sehen. Ich versuchte sie anzulächeln doch sie war bereits einige Schritte hinausgeeilt. Ich hört wie sie rief: „Mein Herr! Mein Herr!“ Ihre schnellen Schritte entfernten sich von meinem Zimmer. Ich war etwas enttäuscht. Es wäre schöner gewesen wenn sie mit mir gesprochen hätte. Oder mir zumindest den Tee gelassen hätte. Meine Mund war wie ausgedörrt. Es blieb mir also wieder nichts anderes als zu warten.

Es dauerte nicht lange da hörte ich einige Schritte auf den Dielen. Zwei Personen. Ein trippelnder hastiger Schritt, der andere weniger hastig, aber eilig. Große Schritte, aber irgendwie leiser als das Trippeln. Sie mussten anhalten um die Tür zurückzuschieben. Ich hielt den Atem an. Der Mann den die Frau gerufen hatte musste derjenige sein, der sich um mich gesorgt hatte.

Er war eineinhalb Köpfe größer als die Frau. Wie konnte es dann sein, dass seine Schritte leiser waren als ihre? Das war das erste was mir durch den Kopf geschossen war, als ich seine Gestalt sah.

Als er eintrat sah er nicht direkt zu mir. Erst auf den Boden vor ihm. Die Schüssel und die Tasse lagen noch auf dem Boden und es schien ihn mehr zu interessieren als meine Verfassung. Enttäuschung machte sich schon wieder in mir breit. „Und sie hat nichts gesagt?“ fragte er an die Frau gewandt, leise, als befürchte er jemanden mit seiner Stimme zu wecken. Noch immer hatte er mich nicht angesehen. Sie schüttelte vehement den Kopf. Dann stieg er über das Geschirr und die Pfütze die sich gebildet hatte, noch immer seinen Blick auf den Boden gerichtet. Ich beobachtete ihn mit einer Mischung aus Ungeduld und Misstrauen. Dieser Mann hier vor mir… Er konnte nicht jemand sein der sich um mich sorgte. Höchstens jemand der sich um mich sorgen musste.

Er kniete neben mir. Ich hatte noch immer sein Gesicht nicht gesehen. Vielleicht würde ich ihn wiedererkennen. Vielleicht würde eine Erinnerung zurückkommen. Wieso hob er nicht den Blick? Wieso sah er mich nicht an?

Er saß einfach nur da und sagte nichts. Bewegte sich nicht. Auf was wartete er da? Ich hielt es nicht mehr länger aus. Mein Mund war zu trocken um etwas zu sagen, daher schob ich meinen Arm aus der Decke hervor. Es kostete mich so viel Kraft, dass ich leise keuchte. Er hatte es bemerkt und sah dorthin wo meine Finger aus der Decke hervorlugen mussten.

Eigentlich wollte ich den Arm heben um ihn zu berühren, in der Hoffnung er würde mich dann ansehen. Stattdessen starrte er nur auf meine Finger. Ich wurde langsam wütend. Wütend auf meine Schwäche. Wütend auf ihn. War er dumm?

Ich brauchte etwas zu trinken. Ich wusste nicht wie sich meine Stimme anhören würde wenn ich versuchen würde zu sprechen. Ich öffnete den Mund um nach Wasser zu bitten. Doch mein Hals war wohl zu sehr geschwollen. Ich versuchte es weiter und räusperte mich leise. „Wa- sser… bitte.“ Leise, krächzend und heiser. So hörte sich also meine Stimme an.

„Bitte, bringt ihr etwas zu Trinken.“ Die Frau die noch immer in der Tür stand eilte davon. Er hatte den Kopf nur etwas zu ihr gewandt, aber so konnte ich wenigstens sein Profil erkennen ehe er den Blick wieder senkte. Sein verhalten war mehr als verstörend und ich wollte dass er mit mir sprach. Aber meine Kehle kratzte so schrecklich beim Reden. Ich konnte ihn so nicht auffordern. Die Frau kam zurück und stellte den Tee neben ihn. Er streckte die Hand danach aus, ohne wirklich hinzusehen, ganz selbstverständlich. Doch er hielt kurz inne. Er schien nachzudenken, aber nur einen kleinen Augenblick. Die Frau hatte sich zurückgezogen und die Tür hinter sich geschlossen.

Nur wir beide waren noch in dem Raum.

Die Atmosphäre schien sich zu verändern.

Ich fühlte mich unsicher.

Ich kannte ihn nicht, oder kannte ihn nicht mehr. War es in Ordnung, dass ich mit ihm alleine war? Ich konnte mich kaum bewegen. Ich wäre ihm ausgeliefert.

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