~Kapitel 5

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Wie lange ich auch nachdachte, wie oft ich es auch versuchte. Ich konnte nichts finden. Keine Erinnerung an mein früheres Leben. Ich konnte nicht glauben, dass ich verheiratet war. Touma hatte nicht viel gesagt. Ich war zu erschöpft gewesen. Ich war eingeschlafen obwohl ich so viele Fragen an ihn hatte. Seitdem hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Es war ein Tag vergangen und mein Mann war nicht da um nach mir zu sehen. Ich war frustriert.

Wie konnte er mich so im Unklaren lassen? Konnte er sich nicht vorstellen, dass es schrecklich war keine Erinnerungen mehr zu haben? War er selbst denn nicht traurig darüber, dass ich ihn vergessen hatte?

Ich biss mir auf die Unterlippe. Das musste es sein.

 Er war verletzt.

 Wie konnte ich nur so taktlos sein? Wie konnte ich nur denken, dass ich ihm egal war? Er hatte die letzten zwei Wochen auf mich acht gegeben. Chiyo, die Frau die den Tee gebracht hatte, erzählte mir, dass er vor zwei Wochen mit mir im Arm an ihre Tür geklopft hatte. Nass und verfroren. Ich hatte mir den Kopf gestoßen und mir Fieber eingefangen. Tagelang war ich zwischen Leben und Tod gefangen. Und als das Fieber sank, war ich nicht aufgewacht. Die ganze Zeit über war Touma bei mir geblieben. Und jetzt… jetzt erkannte ich ihn nicht wieder.

 Es musste furchtbar für ihn gewesen sein.

 Ich fühlte mich schuldig. Ich wollte meine Erinnerungen an ihn zurück. Wollte ihm danken, irgendwie. Aber ich konnte mich nur an gestern erinnern.

 Immer und immer wieder sah ich sein Gesicht, ganz nah an meinem. Wie er seine Lippen auf meine presste um mir zu trinken zu geben, weil ich es nicht schaffte alleine zu trinken. Jedes Mal, wenn ich daran zurückdenke, werden meine Wangen ganz warm. Doch das legte sich schnell wieder wenn ich daran denke wie er mir mit diesem seltsamen Gesichtsausdruck sagte, dass ich seine Frau war. Irgendwie fühlte es sich nicht richtig an.

 Warum?

 Auch die nächsten Tage war er nicht zu mir gekommen. Chiyo sprach auch nur wenig mit mir. Ich war einsam. So langsam gewöhnte ich mich sogar daran. Mein Herz verhärtete sich immer mehr zu Etwas was noch schwerer wurde als der Kloß meiner verlorenen Erinnerungen.

Ich hatte mich gerade erst wieder hingelegt und die Augen geschlossen um durch den Schlaf der Langeweile zu entkommen als die Tür leise aufgeschoben wurde. Ich hatte die Schritte gar nicht bemerkt, obwohl die Dielen sehr laut waren. Jedenfalls wenn die kleine Haushälterin kam. Das leise Sirren des Fusumas sagte mir, dass sie wieder geschlossen wurde. Die Sonne war noch nicht ganz untergegangen und so konnte ich sein Gesicht erkennen. Er sah müde und erschöpft aus. Mir tat es schon wieder leid, dass ich ihn in meinen Gedanken so schlecht gemacht hatte.

 Sein Gesicht zeigte ansonsten nur wenige Emotionen. Nur ein Hauch von Verachtung spiegelte sich in seinen Augen als er mich ansah. Ich fühlte mich unwohl und mein Inneres zog sich schmerzhaft zusammen.

 „Touma?“

 Er hatte mich gedankenverloren angesehen doch als er seinen Namen hörte veränderte sich sein Blick.

 Überraschung, Freude, Verzweiflung und Schmerz zugleich.

 Wie konnte man so vieles auf einmal zeigen? Kaum dass ich den Gedanken zu ende dachte, hatte er die Distanz zwischen uns überbrückt und war auf die Knie gefallen.

 Er umarmte mich. Er hatte seine Arme um meinen Oberkörper geschlungen und hielt mich fest. Jetzt war es an mir überrascht zu sein. War etwas passiert?

 Einen Moment bewegte er sich nicht, hielt mich nur fest. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Ich war unschlüssig, was hätte ich früher in dieser Situation getan? Mein Kopf war leer. Touma war mein Mann und egal was passierte, ich musste für ihn da sein, genauso wie er für mich da war.

 Wie von selbst bewegten sich meine Arme. Sie legten sich um seine breiten Schultern und zogen meinen Körper dichter an ihn. Sein kurzes Haar war weicher als ich anfangs dachte. Doch irgendetwas fehlte. Ich wollte gerade noch einmal darüber fahren um mich zu erinnern, aber da ließ er mich los und schob mich von sich.

 Abrupt.

 Hatte ich etwas Falsches getan? Mein Herz, das gerade noch wild gepocht hatte, erstarrte vor Enttäuschung. Er sah mich nicht an, was die Unsicherheit in mir nur noch schmerzhafter machte. Seine Gedanken waren weit von mir entfernt, sein Gesichtsausdruck zeigte Schrecken. Was dachte er?

 „Touma… was ist?“ fragte ich zaghaft und mit zitternder Stimme.

 Er reagierte erst nicht, doch dann schien er sich wieder gefangen zu haben.

 „Wie…“ er räusperte sich. „Wie geht es dir?“ Er hatte versucht sie fest und emotionslos klingen zu lassen, doch ich hörte den verunsicherten Ton heraus. Ich wollte ihn glücklich machen und so lächelte ich mein strahlendstes Lächeln. „Danke, mir geht es schon viel besser! Ich denke dass ich bald wieder aufstehen kann. Mach dir keine Sorgen.“

 Wieder starrte er mich an, als würde ich etwas Unglaubliches erzählen. „Ist etwas in meinem Gesicht?“ unsicher und peinlich berührt, tastete ich mein Gesicht ab. Vielleicht hatte ich beim Essen nicht aufgepasst.

 Plötzlich umfassten seine kalten Hände meine Handgelenke und schoben sie beiseite.

 „Nein.“ Er lächelte warm und mein Herz setzte einmal mehr an diesem Tag aus.

Dieses Lächeln war so viel anders als das überhebliche Lächeln vor einigen Tagen. So schön, dass ich nicht anders konnte als es anzustarren.

 War es dieses Lächeln, das mich ihn heiraten ließ? Oder ihn wenigstens sympathischer werden ließ, selbst wenn es eine arrangierte Heirat gewesen war? Ich war sicher glücklich mit der Wahl gewesen, allein wegen diesem Lächeln, das er mir jetzt schenkte.

 „Ich dachte nur nicht, dass ich es jemals wiedersehen würde.“ Er hatte eine Hand auf meine Wange gelegt und obwohl sie kalt war fühlte sich die Haut darunter sich an als würde sie brennen. Ich legte meine eigene Hand auf die Seine und schmiegte mich daran. „Es tut mir leid, dass ich dir so viele Sorgen gemacht habe. Aber alles wird gut werden.“

 Ich lächelte noch einmal, nur für ihn. Ich wollte meine Erinnerungen zurück. Für ihn.

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